Von der Mondlandung, Space Shuttle Missionen, Leben auf der ISS und zukünftiger Mars Missionen
Am 16. August hielt der ehemalige deutsche Astronaut Thomas Reiter einen Vortrag am Neuen Gymnasium in Wilhelmshaven.
Thomas Reiter war von 1992 bis 2007 Astronaut der ESA und lebte und arbeitete 1995 für 179 Tage auf der russischen Weltraumstation „Mir“.
Im Jahr 2006 wurde er wieder als Astronaut eingesetzt und flog mit dem Space Shuttle Discovery zur ISS (International Space Station). Nach 171 Tagen kehrte er zur Erde zurück.
Der Titel des Vortrages zog viele interessierte Besucher an, bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung füllte sich die Aula des Neuen Gymnasiums.
Pünktlich um 19:00 wurden Redner und Publikum von Frau Dr. Wiebke Endres mit einleitenden Worten begrüßt und übergab dann das Mikrofon an Thomas Reiter, der seine Überraschung kundtat, dass doch nicht alle den Start der Bundesliga sehen wollten.
Er begann mit einer Vorstellung der ESA (European Space Agency) als europäische Raumfahrtbehörde. Die ESA wurde 1975 mit 10 Mitgliedsstaaten gegründet und ist inzwischen auf 22 Mitgliedsstaaten angewachsen. Das Hauptquartier ist in Paris, in Deutschland sind das Europäische Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt, das Europäische Astronautenzentrum in Köln und das Columbus Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen.
Um eine Übersicht zu bekommen, was überhaupt alles zur Raumfahrt gehört, sprach er über Anwendungen wie GPS oder das zukünftige europäische Galileo-System, aber auch Telekommunikationssatelliten, Wettersatelliten, etc. Die bekanntesten Aspekte der Weltraumforschung sind unter anderem Sonden wie zum Beispiel „Rosetta“, die den Kometen Tschurjumov-Gerassimenko besuchte. Doch auch alles was die Raumfahrt überhaupt möglich macht, zählt dazu wie z.B. die Trägerraketen, Zulieferbetriebe, etc. Der Bereich Sicherheit betrifft nicht nur eventuell anfliegende Asteroiden sondern auch den Weltraummüll, der im erdnahen Raum umherfliegt und sowohl Satelliten als auch die ISS gefährden kann. Nur wird dieser „Müll“ bei der ESA etwas netter als „Raumfahrtrückstände“ bezeichnet.
Der globale Klimawandel wurde durch die Satellitenbeobachtung erst entdeckt, da es von der Erde aus gar nicht möglich ist, so viele Sensoren zu installieren und zu überwachen, wie Messungen vom Orbit aus möglich sind.
Seit der ersten Mission von Herrn Reiter zur sowjetischen Raumstation „Mir“ (1995) hat sich sehr viel verändert. Während die Reise zur Raumstation vom Start der Rakete in Baikonur bis zum Andocken an der „Mir“ früher 2 Tage dauerte, können die Astronauten heute bereits nach 6 Stunden auf die ISS umsteigen. Als Thomas Reiter auf der „Mir“ gearbeitet hat, war diese bereits 10 Jahre alt und der überwiegende Teil der Technik war aus den 70er Jahren. Fünf Jahre später wurde der Wartungsaufwand für die Raumstation dann zu groß und man ließ sie kontrolliert abstürzen, so dass der größte Teil verglüht ist.
Kontrollierte Abstürze erfolgen vorrangig über dem Südpazifik, in einem Bereich, wo es keine bewohnten Inseln gibt und Teile, die den Absturz überstehen, ins Wasser stürzen.
Dann sprach Herr Reiter über seine Zeit an Bord der ISS.
Das erste Modul der ISS wurde 1998 gestartet und die Raumstation wurde dann über viele Jahre laufend erweitert. Inzwischen hat die ISS eine Größe von 108 x 70 Metern (zum Vergleich: die „Mir“ war 18 x 28 m groß). Seit 2000 ist sie durchgehend bemannt, zuerst mit 3 und seit 2011 mit immer 6 Astronauten. Das europäische Columbus-Modul ist seit 2008 in Betrieb. Die Station soll bis wenigstens 2024 weiter betrieben werden und fliegt in etwa 90 Minuten einmal um die Erde. Wenn die ISS über die Tagseite der Erde fliegt liefert jede Seite der Solarpanels über 100 kW an Strom, der in der Station gebraucht wird. Die überschüssige Energie wird für den Flug über die Nachtseite gespeichert. Dazu gibt es noch große Panels, die als Radiatoren die überschüssige Wärme der ISS an den Weltraum abgeben.
Schließlich stellte Herr Reiter den Zuhörern noch ein paar Beispiele von einzelnen Experimenten vor, die auf der ISS durchgeführt wurden.
So wurde zum Beispiel im Zuge der Materialforschung das Material Titan-Aluminit entwickelt, das in Flugzeugturbinen verbaut wird.
Oder aus dem Bereich der Plasmaphysik kommen inzwischen Anwendungen von kaltem Plasma zur Desinfektion und zur Förderung der Wundheilung zum kommerziellen Einsatz.
Bei Langzeitmissionen sind große Herausforderungen zu meistern. Allen voran die Lebenserhaltung. So wird an Systemen gearbeitet, möglichst viel Sauerstoff durch ein Recycling-System zurück zu gewinnen. Unterschiedliche Systeme mit unterschiedlicher Effektivität wurden in der ISS bereits getestet.
Hochinteressant waren auch die medizinischen Aspekte zum Leben in der Schwerelosigkeit. Dass die Muskulatur einen erheblichen Abbau erlebt, hat wohl schon jeder gehört, aber auch das Kreislaufsystem wird vom Körper zurückgefahren. Zurück auf der Erde haben die Astronauten in der ersten Zeit Probleme aufrecht zu sitzen oder zu stehen. Selbst die Knochensubstanz wird abgebaut.
Mich beeindruckte besonders die Information, dass auch das Immunsystem fast völlig zum Erliegen kommt, da die Aktivierung der Immunzellen unterdrückt wird. Auf der Erde versucht man sich dieses Phänomen in der Medizin im Kampf gegen Autoimmunerkrankungen zu Nutze zu machen.
Die Astronauten auf der ISS benötigen ca. 30% ihrer Arbeitszeit für Wartungsarbeiten an Bord der ISS, dazu gehören auch Außenbordeinsätze. Da die Astronauten während dieser Zeit wesentlich stärker der Strahlung ausgesetzt sind, muss die Strahlungsdosis genau überwacht werden. Als Lebenshöchstdosis gab Herr Reiter einen Wert von 500 mSv (Millisievert) an, wer diese Schwelle erreicht hat, wird nicht mehr für Raumfahrtmissionen eingeplant. Außenbordeinsätze werden auf max. 6 Stunden begrenzt, wozu noch eine lange Vorbereitungsphase kommt, in der die Astronauten reinen Sauerstoff einatmen, da auch in den Raumanzügen eine reine Sauerstoffatmosphäre besteht.
Die Zuhörer erhielten auch einen Ausblick auf geplante zukünftige Missionen. Zu den Zielen zählen neben dem Mond in fernerer Zukunft auch Exkursionen zum Mars. Dabei sind allein durch die Entfernungen schon wesentlich größeren Hürden zu bewältigen, Versorgungsflüge sind nicht so einfach möglich wie zur ISS.
Hierfür sind ebenfalls die Systeme zur Sauerstoffgewinnung notwendig. In den Polgebieten des Mondes, besonders am Südpol, wurden Wasservorkommen entdeckt, es ist nur nicht sicher ob sie als Wassereis vorliegen, im Boden oder im Regolith (Mondstaub) gebunden sind. Aus Wassereis könnte der Sauerstoff über Elektrolyse relativ problemlos erzeugt werden, wenn das Wasser erst aus dem Boden gewonnen werden muss, wird dies ungleich schwieriger.
Die bisherigen Planungen sehen Expeditionen zum Mond für Ende 2020 oder 2021 vor. Dazu wurde das Orion-Programm entwickelt, dessen Servicemodul aus Deutschland (Airbus, Bremen) kommt. Das Servicemodul enthält das Haupttriebwerk und dient unter anderem als Lager für notwendige Vorräte, incl. Sauerstoff und Treibstoff, trägt die Solarpanels und reguliert das Klima an Bord.
Weiterhin ist eine modulare Raumstation geplant, die den Mond umkreist, ähnlich wie die ISS, die aber nicht dauerhaft besetzt ist. Die als „Lunar Orbital Platform-Gateway“ (LOP-G) bezeichnete Station soll als Sprungbrett sowohl für weitere Mondmissionen, als auch für eine spätere Marsmission dienen.
Weiterhin ist geplant im Juli 2020 den ExoMars Rover auf den Weg zum Mars zu schicken, der dort in einem Gebiet Bodenuntersuchungen vornehmen soll, wo eine frühere Küstenlinie vermutet wird (Oxia Planum).
Nach 2 Stunden kam Herr Reiter zum Ende seines Vortrages, stand aber noch für interessierte Fragen und Autogramme zur Verfügung.
Alles in Allem war dies ein ausgesprochen informativer und spannender Vortrag, der nicht einen Moment langatmig oder gar langweilig wurde.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend, Thomas Reiter!